11 September 2005

Zvilisiert den Kapitalismus



Ungläubig reibe ich mir die Augen. Wann hat Gräfin Dönhoff dies geschrieben? Bereits 1997 war Ihre Aufsatzsammlung erschienen, aus der zwölf Thesen nun postum in einem kleinen Bändchen erschienen sind: Zivilisiert den Kapitalismus!

Während die Globalisierungsgegner oftmals platt dagegen sind, differenziert die einstige Zeit-Herausgeberin: Noch immer ist das liberale Wirtschaftsmodell das beste, bislang wurde nichts humaneres als der Wettbwerb erdacht.

ABER. Dabei kann es nicht bleiben. Kapitalismus ohne Metaphysik ist tot. Frau Dönhoff plädiert für einen Werte-Wettbwerb, in dem der Kapitalismus eine Idee neben andere stellt. Erst wenn sich das individuelle Vorteilsstreben mit individueller Verantwortung verbindet, entsteht das, was von vielen Neos als Liberalismus verstanden wird.

brand eins



Gabriele Fischer ist eine ungewöhnliche Frau. Sie verantwortet das lesenswerteste Wirtschaftsmagazin der deutschen Presselandschaft - brand eins. Ich liebe es, ich verschlinge es, ich durchdenke es, wie kein anderes Magazin.

Wahrscheinlich ist es der einzige Printtitel, der mich länger beschäftigt als vom Klo bis zur Altpapierablage. Als dreißig Magazin-Leser bin ich shcon aus Platzgründen gezwungen, ständig wertvolle journalistische Inhalte dem Recycling zu übergeben. Bei brand eins bringe ich es nicht übers Herz und gebe das Magazin immer in den persönlichen Umlauf: "Lies das!"

Und jetzt. wieder eine Idee: Eine Preiserhöhung auf 7,60 Euro - immer noch viel zu günstig, von mir aus kann es 9,90 Euro kosten. Die Idee kommt jetzt: ein Solidarfonds. Wer in den wechselvollen Zeiten entlag der Ups and Downs seiner Arbeitsbiographie gerade nicht für das Magazin zahlen kann, schickt einfach eine Mail und erhält das Abo ein Jahr kostenlos. Ohne Nachfrage und Kontrolle. Einfach aus Vertrauen.


Ein Trick? Um die Abokündigerquote so gering wie möglich zu halten? Wer sich dieser Nörglerposition anschließen mag, hat das Magazin noch nie gelesen. Sonst würde er anders denken.

Empfehlen Sie das Magazin weiter! Verschenken Sie es, kaufen Sie zwei davon!

25 August 2005

Stolz auf Politiker


Ich halte dagegen: Sperre mich gegen die Politikerschelte.

Armer Franz Müntefering (Foto: www.spiegel.de). Ohnehin asketisch, reibt ihn die Legitiamations-Tour auf. Zusammenbruch.

Für einen klitzekleinen Moment erntet er als Politiker mehr als Häme, Hass und oftmals viel schlimmer: Desinteresse. Er muss als Mensch erst einknicken, um die physische Belastung sichtbar zu machen, unter der fast alle Berufspolitiker stehen.

Die Moderne fördert die Individualität und erhöht den Stress. Jede Entscheidung muss der Einzelne selbst treffen, wenn sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschlechtern, verschmelzen innerer und äußerer Druck. Und der kumuliert in Politikern. Weil die in Deutschland eben sehr nah am Volk sind.

Ich weiß, dass ich damit gegen den Trend argumentiere. Doch gerade, wie die Deutschen ihre politischen Eliten herausbilden, finde ich vorbildlich. Kein Kastensystem wie es die Grandes Ecoles in Frankreich gebären, keine geschlossene Gesellschaft wie in England. Sondern die Ochsentour von der Nominierung im Ortsverband über die Listenaufstellung in den Landesverbänden bis zur Wahl selbst.

Diese Art der Legitimation der Personen selbst mag dazu führen, dass sich nurmehr bestimmte Charaktere für diesen Wahnsinn zur Verfügung stellen. Doch diejenigen, die dafür auf ein besseres Gehalt in der Wirtschaft verzichten, auf kürzere Arbeitszeiten, die sie als Beamte gehabt hätten, können nichts für den Mechanismus.

Ihnen gebührt unser Respekt, wie jetzt Franz Müntefering unser Mitgefühl gilt.

22 August 2005

Alles nur ein Quickie?


Games Convention 2005 in Leipzig. Journalisten, die noch nicht einmal den Mofa-Führerschein besitzen, drängeln sich im Presse-Zentrum. Souverän nutzen sie Notebook, WLAN und die Vorzüge der Presse-Lounge.

PSP, Xbox 360, Gameload. Neben den drei Mega-Trends und den vielen Messebabes (Foto: Thomas H. Kaspar) schleicht sich eine Entwicklung in meinen Kopf: Der Verlust der narrativen Strukturen.

Das Privatfernsehen hat uns gelehrt, dass jede noch so spannende Handlung durch Werbung zerstückelt werden kann. Zappen während Nutella, Damenbinden & Co. Neuer Information-Layer, rückzappen, neuer Layer, zurückzappen, Vorschau auf den nächsten Film, zurück zum Hauptfilm. Neue Zuschautechnik.

Kritiker der Spielewelt an PC und Konsolen vergaßen, dass etwa große Rollenspiele auch große Erzählstrukturen schufen, in die der Spieler abtauchte wie in einen Fantasy-Roman. Die große Erzählung lebte in seinem Kopf wie eine Fortsetzungsgeschichte. Kulturpuristen zum Trotz: auch das sind große zusammenhängende Geschichten.

Interview mit Jörg Trouvain, Deutschland-Chef des weltgrößten Spiele-Herstellers Electronic Arts. Okay, Computerspiele haben kein schlechtes Image mehr, wie ihre Studie belegt. Viel spannender: Um neue Zielgruppen zu erreichen, müssen sich die Spiele wandeln. Viele Frauen und Gelegenheitsspieler sind nicht bereit, sich in rundenbasierte Schlachten zu werfen. Kürze, Mobilität sind gefragt.

Da wird sich wieder etwas ändern.
Games Convention = Präsente abgreifen zwischen Messe-Chicks.
Privatfernsehen = Filme zwischen Werbe-Gigs.
Internet = Content Chunks zwischen Maus-Klicks.
Neue Spiele = ?

Willkommen in der Kurzatmigkeit.

18 August 2005

Interesse - vom "Dazwischensein" zur Vernetzung

Wahrscheinlich macht sich niemand mehr Gedanken darüber, wie man die richtigen Menschen zusammen bringen kann, als ein Online-Shop.

Prof. Andreas Weigend hat als Chief Sciententist für den Onine-Shop Amazon grundlegende Algorhythmen entwickelt, um Menschen mit gleichen Interessen zu vernetzen. Die Idee: Sehen Käufer, was andere Käufer gekauft haben, was zum Themengebiet passt, was andere empfehlen, dann steigt der Verkaufserlös.

Erstaunlich: Der Computer schlägt oftmals bessere Produkte vor, als die eigene Schwiegermutter. Blankes Rechnen aufgrund von Logfiles offenbart nämlich, was wir wirklich tun, und nicht, was wir uns darstellen.

So mancher redet von Brecht & Mann und kauft nur Brown & Mankell (Nebenbei: Das Interview mit dem bekennenden Mankell-Hasser Hen Hermanns ist wunderbar).

Nachteil: Die Zuspitzung auf unsere Interessen, verengt den Blick auf die Welt. Der eingeblendete Cluster wird immer kleiner.

Anders, wohltuend ist da der Ansatz von Musicplasma (Photo: www.musicplasma.com). Wer nach einem Künstler sucht, dem eröffnet sich ein Netzwerk an Assotiationen. Wowwwww!

Das ist Interesse im Wortsinn. Dazwischen sein, noch keine vorgefertigte Meinung haben. Sich einlassen auf einen der beiden Pole. Auch das führt zu Verkaufserfolgen.

Aber es ist ein offenes System. Und die sind nach Sir Carl R. Popper langfristig eben menschlicher und damit erfolgreicher.

16 August 2005

Punktsieg für Bagatellen

"Prozentpunkt" wird wohl das Wort des Wahljahres werden.

Es ist ein Symbol für die Verlagerung von Inhalten hin zu persönlichen Angriffen, also zu Bagatellen.

Wir erleben derzeit die Entpolitisierung von Politik. Ohne Partei zu ergreifen: Die Kampa ist eine schnelle Wahlkampftruppe der SPD. Mit frechen Slogans verstehen es die Spin Doctors der Sozis, von inhaltlichen Themen abzulenken und auf kleien Fehler der Herausforderer zu reagieren. Das ist intellektuell hübsch gemacht. Gesamtpolitisch ist es verheerend, wenn Weblogs Polemik transformieren und transportieren.

Durch das Tempo des Internets, die schnelle Weiterleitung des einen guten Gags verliert der Inhalt noch mehr an Bedeutung, weil der Pointe viel Raum eingeräumt wird.

Da geht der rote Faden schnell verloren, ohne damit die Gesamtkampagne zu meinen, die der "Projektbereichsleiter Online Wahlkampf" der SPD, Sebastian Reichel, angestoßen hat. Es ist eher der rote Faden zwischen Politik und Gesellschaft. Die prinzipielle Akzeptanz von Grundwerten. Dieser Faden ist wohl zerschnitten. Das ist nicht lustig.

14 August 2005

Licht, Finsternis, Fackel, Schwert


Sie schreiben weitgehend unbeobachtet von Feuilleton und sonstiger Öffentlichkeit. Und erreichen doch riesige Auflagen. Christliche Autoren, wie Rick Joyner oder Frank E. Peretti.

Allen Büchern gemeinsam: Der Kampf der Christenheit gegen die Dämonen. Und: Die letzte Wahrheit ist vogegeben durch Gott, der seinen Sohn zur Erlösung geschickt hat. Alles andere ist falsch.

Es ist eine Lese-Subkultur entstanden. Die Autoren versorgen die Leser mit Rüstzeug für den letzten Kampf gegen das Böse in der Welt. Typisch: Metaphern wie Schwert und Fackel ziehen sich durch viele Bücher, die den Weg des "Lichts in der Finsternis" (so ein Erfolgsroman von Frank E. Paeretti) zeigen. Verlage wie "Gerth Medien" bieten das komplette Leserepertore für einen Bücherschrank von "Andacht" über "Erweckung" und "Promiseland" bis "Willow Creek".

Klappentexte lesen sich nicht selten so wie der zu Joyners Buch "Die Fackel und das Schwert" (Foto: www.gerth.de):

"Dieses Buch ist die Fortsetzung der prophetischen Botschaft, die in dem Bestseller "Der letzte Aufbruch" begann und mit dem Folgeband "Der Ruf" weiter geführt wurde. Mit neuer Dringlichkeit gibt uns Rick Joyner Anteil an himmlischen Visionen und Begegnungen, die Gott ihm für die ganze Gemeinde Christi gegeben hat.

Dieses Buch ist ein brennender Aufruf an alle Christen, das größte Abenteuer aller Zeiten einzugehen und sich dem höchsten Ziel zu verschreiben, das es je gegeben hat. Es ist für diejenigen, die sich wünschen, als echte Kämpfer des Kreuzes auszuharren und ihre Stellung gegen die Macht der Dunkelheit in unseren Tagen zu behaupten.

Die Botschaft richtet sich an Menschen, die bereit sind, die Fackel und das Schwert in die Hand zu nehmen, mit Mut und Ausdauer für die Wahrheit und Gerechtigkeit Gottes einzutreten und auf diese Weise zu Botschaftern der künftigen Welt zu werden."

Ich bin selbst Christ. Ich habe meinen Weg durch die Bibel gefunden. Sogar meine Söhne haben bewusst biblische Namen. Doch diesen Weg kann und will ich nicht mitgehen.

Aufklärung bedeutet, Dogmen aufzubrechen. Sie bedeutet deswegen nicht Relativismus. Aber in der Nachfolge Kant haben wir auch erkannt, was Mystiker seit jeher wissen. Hat man die Wolkendecke zur Sonne durchstoßen, sieht man, dass es viele Wege zur Sonne gibt. Aus echter "All-Einheit" entsteht Toleranz.

Wer noch in den Wolken steckt, ist womöglich noch Intoleranter, obwohl er Liebe und Glaube predigt.